Mittwoch, 2. Dezember 2015

Christentum als "humanistische Religion"?

In "Evangelisches Frankfurt", der monatlich erscheinenden "Zeitung für Mitglieder der evangelischen Kirche in Frankfurt am Main" schreibt Kurt-Helmuth Eimuth, Leiter der Redaktion, in einem Kommentar:

"Ja, es gibt Gruppen, die sich auf den Islam, das Christentum, den Hinduismus und sogar auf den Buddhismus berufen, wenn sie zur Gewalt aufrufen, wenn sie plündern und morden. Es war der Frankfurter Psychologe Erich Fromm, der zwischen humanistischer und autoritärer Religion unterschieden hat. Autoritäre Religion sei gekennzeichnet durch die Vorstellung, dass eine höhere Macht Anspruch auf Verehrung und Anbetung hat, und auch auf den Gehorsam der Menschen. Wesentliches Element autoritärer Religion ist nach Fromm die Unterwerfung unter eine jenseitige Macht, die allerdings meistens von einem irdischen Führer direkt ausgeübt werden kann. Bei der humanistischen Religion hingegen besteht das religiöse Erlebnis „in der Empfindung des Einsseins mit dem All, gegründet auf die Beziehung zur Welt“, schreibt Fromm. Selbstverwirklichung, nicht Unterwerfung will der Mensch in dieser Art von Religion erreichen. „Die vorwiegende Stimmung ist Freude, während sie in autoritären Religionen in Kummer und Schuldgefühl besteht.“ Jede Religion kann auf die eine oder auf die andere Weise gebogen werden."

Was will er mit diesem Hinweis auf Erich fromm sagen? Daß der christliche Glaube nichts mit der Vorstellung einer höheren Macht zu tun hat, die Anspruch hat auf Verehrung und Anbetung, ja gar auf Gehorsam? Schließlich sind das ja Kennzeichen einer "autoritären Religion" - und das wollen wir ja wohl nicht sein! 
Das bedeutet dann aber doch wohl, daß Eimuth den christlichen Glauben eher auf Seiten einer "humanistischen Religion" sieht. Dieser nun ist gekennzeichnet von Empfindung des "Einsseins mit dem All, gegründet auf einer Beziehung zur Welt" und der Mensch will bei dieser Religionsform laut Fromm Selbstverwirklichung statt Unterwerfung erreichen. 
Soll uns das nun tatsächlich als genuin christlich verkauft werden? Das würde mich bei der in der EKD herrschenden Ideologie nicht verwundern, kann es aber ja wohl nicht sein, oder?
Meiner Meinung nach sind beide Religionsbeschreibungen, die Fromm hier bietet, Karikaturen, deren keine auf den christlichen Glauben zutrifft. Weder versucht Gott bei den Menschen einen"Anspruch" durchzusetzen, dennoch sind Verehrung, Anbetung, ja selbst Unterwerfung und Gehorsam aus dem christlichen Glauben nicht wegzudenken - aber als Angebot zu verstehen, das zum Leben hilft, das Gott uns zu wählen oder auszuschlagen die Freiheit gibt. Fast schlimmer aber finde ich Fromms Bild einer "humanistischen Religion". Mit Selbstverwirklichung hat wahres Christentum nichts zu tun, lädt es uns doch im Gegenteil ein, unserm eigenen Wesen abzusterben und uns in das Bild Christi verwandeln zu lassen (die Orthodoxen nennen es etwas mißverständlich "Vergottung" oder "Vergöttlichung", daß wir Gott gleich werden aus Gnade). Und "Einssein mit dem All" klingt mir heute eher als esoterisches Geschwätz und wird bei Menschen dieser Pseudoreligion eifrig angestrebt. Und dem Kosmos kommen dabei quasi göttliche Qualitäten zu. Das All ist Schöpfung, nicht weniger, nicht mehr, wie wir es auch sind. Wir sind ein Teil davon und haben für einen Teilbereich auch die Verantwortung des "Bebauens und Bewahrens". Das "Einssein mit dem All", oder der Schöpfung ist von anderer Qualität als das Einssein mit dem Geschwistern im Glauben. Mit ihnen sind wir "Leib Christi" in dieser Welt, dem All aber eignet die Qualität, Leib Christi zu sein", nicht. 
Jede Religion kann, da hat Eimuth recht, in eine schlechte Richtung "gebogen" werden. Aber die beiden Alternativen, die Fromm anbietet und mit Charakteristika bezeichnet, empfinde ich als ungenügend. Christentum kann weder "autoritäre Religion", noch "humanistische Religion" sein, da sei Gott vor.
Was also soll dieses lange Frommzitat in diesem Kommentar? Ich verstehe es nicht.

klick: "Fürchtet Euch nicht!"

Mittwoch, 18. November 2015

"Rechtfertigung"

Ehrlich gesagt: mit dem protestantischen Generalthema der  "Rechtfertigung" tue ich mich schwer. In der Orthodoxen Kirche ist das ja gar kein Thema. Wie es bei den Katholiken aussieht (wenn nicht die Ökumene zu einer Auseinandersetzung dazu zwänge), weiß ich nicht. 
Was ist mit "Rechtfertigung" im evangelischen Sinn gemeint? In einem Beitrag eines ev. Pfarrers zum Buß- und Bettag habe ich gerade gelesen: " ... Gott, der uns allein gerecht sprechen kann." Das klingt nach dem, was manche sagen: Wenn Gott uns ansieht, dann sieht er nicht uns an, wie wir wirklich sind in unserer Sündhaftigkeit, sondern er sieht Christus an, der gerecht ist, und sieht uns so als Gerechte. Es wird uns also etwas zuerkannt, was wir eigentlich nicht wirklich sind. Mir scheint, Paulus meint, wenn er von "Rechtfertigung" spricht, doch eher ein "gerecht gemacht werden" durch Gott. Also einen Prozeß, durch den wir wirklich werden, was wir in Christus sind. Und das kann natürlich nur ein lebenslanger Prozeß sein, an dessen Ende dann, so Gott will, unsere Rettung steht. So jedenfalls meine von der Orthodoxie geprägte Sicht. 
Wer mag mir auf die Sprünge helfen?

Dienstag, 17. November 2015

About Tradition - Über Tradition (English/Deutsch)



"The tradition of the Orthodox Church is not a static deposit but a life-giving stream. Culture is part of that stream. We move through history together. So to disregard the wisdom of the secular is not only impossible and intellectual dishonest but deeply unChristian.
That is to say, we change, but change takes time, especially in the Orthodox Church.For example, not long ago, women did not take communion during their periods, but as our views about holiness and impurity evolve, this rule is gradually being ignored.1 I like this example because it illustrates that saying saying, “This is the way it has always been done,” carries a lot of weight in the Orthodox Church, but it does not make the argument. What we have always done still has to make sense."
From an article  of my Facebook friend David J Dunn (PhD)



I think you can say this in the name of the Roman Church, too. 
Tradition (with great T and more so with small t) is a highly valued treasure in the Church. And we have to be careful with it, particularly if someone wants to alter it. But! But: Tradition has to make sense, it must not contradict latest scientific findings, we have to constantly re-examine it on the Holy Scriptures, and maybe change it if we have gained new theological insights. Otherwise we would transform the vivid process of tradition, made by the Holy Spirit, into a petrified prison, we would honour the the letter and not the spirit and would experience what St. Paul says: The letter kills but the spirit gives life. (2.Cor. 3,6)
I think this is important if we consider re-marrfiage of divorced couples, homosexuality and same-sex partnership and maybe many more things that affect us in our times. 

***

Die Tradition der Orthodoxen Kirche ist nicht etwas festgefügt Hinterlegtes, sondern ein lebensspendender Strom und Kultur ist ein Teil dieses Stromes. Wir bewegen uns gemeinsam durch die Geschichte. Darum ist es nicht nur unmöglich und intellektuell unehrlich, sondern auch zutiefst unchristlich, die Weisheit der säkularen Welt zu verachten.

Das bedeutet, wir verändern uns, aber Veränderung braucht Zeit, besonders in der Orthodoxen Kirche. Zum Beispiel, vor nicht zu langer Zeit nahmen Frauen nicht an der Kommunion teil während der Zeit ihrer Periode. Aber so wie unsere Anschauungen, was Heiligkeit und Unreinheit betrifft, sich weiter entwickeln, so wird dieses Gesetz mehr und mehr ignoriert. Ich mag dieses Beispiel, weil es zeigt, daß die Rede: 'Das ist immer so gemacht worden.' zwar ein großes Gewicht hat in der Orthodoxen Kirche, aber als Argument nichts taugt. Was wir immer so gemacht haben muß einen Sinn ergeben.“

Aus einem Artikel meines Facebook Freundes David J Dunn (PhD)

Ich denke, man kann das so auch im Namen der Römischen Kirche sagen.
Tradition (gilt auch für Brauchtum) ist ein hoch geehrter Schatz in der Kirche. Und wir müssen vorsichtig mit ihr umgehen, besonders, wenn sie verändert werden soll. Aber! Aber: Tradition muß Sinn ergeben, sie darf nicht neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen und wir haben sie ständig neu an der Heiligen Schrift zu überprüfen und möglicherweise zu verändern, wenn wir neue theologische Einsichten gewonnen haben. Andererseits würden wir den lebendigen geistgewirkten Traditionsprozeß in ein steinernes Gefängnis verwandeln; wir würden den Buchstaben und nicht den Geist ehren und erfahren, was der Heilige Paulus sagt: Der Buchstabe tötet, aber der Geist schenkt Leben. (2. Korinther 3,6)
Ich denke, das ist wichtig wenn wir etwa die Wiederverheiratung Geschiedener bedenken, oder Homosexualität und gleichgeschlechtliche Partnerschaften und vielleicht vieles anderes, was uns in unserer Zeit betrifft.



Sonntag, 8. November 2015

J. S. Bach

Nur mal so nebenbei bemerkt:

Das Wunderbarste, was die Evangelische Kirche hervorgebracht hat, ist für mich die Musik von Johann Sebastian Bach.

"Viva la Reformation"


Nichts gegen Reformen. Die braucht es immer und immer wieder in der Kirche. Aber woher die anzulegenden Maßstäbe nehmen für notwendige Änderungen? "Sola scriptura" - die Kampfparole Luthers - taugt dazu nicht. Denn die Heilige Schrift interpretiert sich nicht selber, sondern braucht die Interpretation derer, aus deren Schoß sie erwachsen ist, der Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche und ihrer Überlieferung, ihrer Tradition. Nur so kann man den Entstehungs- und Wachstumsprozeß der Kirche, der Bibel, der Glaubenslehre und ihres Sinnes in einer bestimmten Situation und Zeit recht erkennen und einordnen und auf dieser Basis über eventuell notwendige Reformen gemeinsam nachdenken, streiten, entscheiden, ohne alles Vorherige einfach als falsch und "unbiblisch" zu bezeichnen. Unter der Führung des Heiligen Geistes, versteht sich.
"Tradition" falsch verstanden führt zu "Traditionalismus", Versteinerung des lebendigen Wirkprozesses des Heiligen Geistes in der Kirche, ist bloße Rückwärtsgewandheit und Weltfremdheit. "Reform" falsch verstanden führt zu "Reformation", Entwurzelung aus dem lebendigen Wirkprozess des Heiligen Geistes in der Kirche, ist Absolutierung der Gegenwart und Anfälligkeit für den Zeitgeist. Beides ist Gefahr für den lebendigen Glauben der Kirche. Beides richtet den Blick einseitig auf etwas, das nicht alles sein kann.
Statt "Viva la Reformation" wäre mir zur bevorstehenden 500-Jahrfeier der Reformation ein Sündenbekenntnis lieber, oder wenigstens ein ausdrückliches Bedauern darüber, daß die Ereignisse damals, nicht nur durch die Schuld der römischen Kirche, sondern auch durch die Schuld des Reformatoren und seiner Mitstreiter, zur Kirchenspaltung, zur Verletzung der Einheit des Leibes Christi, gekommen ist.

Samstag, 7. November 2015

Weltreise

Heute vormittag bin ich mit der Bahn auf dem Weg von Stendal nach Frankfurt am Main.
Nichts Ungewöhnliches? Doch, denn ich muß genauer sagen: heute vormittag vor 29 Jahren... Das Staatsgefängnis DDR hatte mir ein paar Tage Freigang gewährt. Ich durfte für 10 Tage den Mief des Ostens (und das auch ganz wörtlich verstanden) verlassen und die Partnergemeinde in Westdeutschland besuchen. Einen Tag zuvor hatte ich erfahren, ob ich denn nun gnädigerweise reisen darf, oder nicht. Aber mein Koffer war vorsorglich gepackt, ein Geschenk war besorgt und nicht nett eingepackt, weil ich damit rechnete, daß die Neugier der Grenzkontolleure ein Auspacken und damit ein Zerstören der kunstvollen Verpackung verlangen würde.
Von Stendal nach Frankfurt zu reisen, das war damals eine Weltreise. Nicht nur, daß man sich in eine völlig andere Welt begab, auch was die Reisezeit betrifft, kam es einer Weltreise gleich. Ich war, glaube ich, so etwa 10 Stunden unterwegs. Es war abends halb sieben, als ich ankam, es war dunkel und trotzdem war der Bahnhofsvorplatz recht hell und vor allem bunt beleuchtet, so daß es mir unwirklich, wie im Märchenland, vorkam.
Nach der ersten Bahnetappe, in Oebisfelde, dem Grenzübergang, gab es für alle Reisenden in einem abgesperrten Teil des Bahnhofes, eine mit Angst besetzte Kontrolle, die, wenn man Pech hatte, in Leibesvisitation ausarten konnte, oder, weniger angstbesetzt, in ein Auspacken des Koffers. Ich habe damals ein Verbrechen begangen, hatte vor, 10 D-Mark aus der DDR in die BRD zu schmuggeln (damit ich dort etwas flüssiger sei). Die Banknote hatte ich mir unter den Fuß geklebt. Darum also die Angst vor einer Leibesvisitation. Zum Glück fand diese nicht statt - ansonsten hätte meine Reise in den Westen nicht stattgefunden.
Als man endlich kontrolliert und durch das ganze Prozedere gedemütigt, wieder im Zug sitzend, endlich die schrecklichen und normalerweise unüberwindichen Grenzzäune hinter sich gelassen hatte, gab es ein deutlich spürbares Aufatmen im Zugabteil, die schreckliche Spannung fiel von einem ab, man hatte den Weg von der Unfreiheit in die Freiheit unbeschadet, körperlich zumindest, überstanden. Heute denke ich natürlich, daß die Stasi mit im Zug saß und alles genau beobachtete.
Ab Hannover war das Reisen richtig schön. Man fuhr in einem modernen Intercity, im Großraumwagen, das war so chic und so angenehm und so ein Luxus.
Die 10 Tage in Westdeutschland waren schön, interessant, bewegend, es gab viele gute Begegnungen , privat aber hauptsächlich auch im kirchlichen Bereich und speziell in der Partnergemeinde. Das Wetter war gut: es war nicht zu kalt, die Sonne schien, Herbst nochmal von der schönsten Seite.
Als ich zurückfuhr, heim ins Gefängnis, aber auch an den Ort, wo ich zuhause aber immer auch ein Fremder war, sah es anders aus. Bei der Verabschiedung auf dem Bahnhof in Frankfurt schien noch die Sonne, als ich aber die furchterregenden Grenzanlagen durchfuhr und bei mir dachte: Hier kommst Du jetzt nie wieder raus! - war es trübe und es regnete.
Es hat mehr als ein halbes Jahr gedauert, bis ich mir wieder einigermaßen vorstellen konnte, in einem so schrecklichen Land wie der DDR leben zu können.
Und jetzt? Jetzt lebe ich schon 13 Jahre im "Kuhwald", der Siedlung, in der ich einst, in Frankfurt, unsere Partnergemeinde besucht habe. Es ist längst nicht mehr so schön hier, der Lack ist ab, das Gold glänzt nicht mehr, weil es gar keines ist. Aber auch tatsächlich, und nicht nur in meiner Wahrnehmung, ist das Westdeutschland von heute ein anderes als das, was es damals noch war. Und das sage ich mit einer gewissen Wehmut.
Aber zurück, dorthin nach Ostdeutschland, möchte ich auch nicht mehr.

Freitag, 6. November 2015

Ida Friederike Görres - Noch ein Nachschlag zum Reformationstag

Kann man da, darf man da sagen: Ich bin nur meinem Gewissen verantwortlich? Ich lasse mich nur von Zeugnissen der Schrift und durch klare Vernunftgründe überzeugen? Was soll mir ein kirchliches Lehramt, was sollen mir Konzilien, was soll mir die Tradition? 
Wer bin ich denn? Kann mein Gewissen mich nicht auch trüben? Ist es gar unfehlbar? Wer sagt mir denn, daß gerade oder allein ICH die Schrift richtig verstehe, daß meine Vernunft mir nicht tausend Schnippchen schlägt? Wie wahrscheinlich ist es denn, daß alle vor mir den Glauben verdunkelt, mißverstanden, verfälscht haben und ausgerechnet ich die Wahrheit in ihrer ursprünglichen Reinheit neu entdecke?
Der Glaube der Kirche "übersteigt weit das individuelle Bewußtsein wie die abgezirkelte Theologie ... Wir leben in unserem Glauben mehr als der Glaube in uns."